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Wirtschaft und Business

„Wir müssen uns auf ein geringeres Wachstum einstellen“

Professor Dr. Stefan Kooths (IfW Kiel) war Gastredner beim IHK-Konjunkturgespräch in Weingarten. Bild: IHK/IfW

„Die Zeiten sind unruhig, spannend und in vielerlei Hinsicht angespannt“, fasste Martin Buck, Präsident der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK), in seiner Begrüßungsrede zum diesjährigen IHK-Konjunkturgespräch in Weingarten die aktuelle Situation zusammen. Gastredner Professor Dr. Stefan Kooths, Direktor des Forschungszentrums ‚Konjunktur und Wachstum‘ im Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, sprach zum Thema „Corona-Krise, Demografie und Transformation – Perspektiven für die deutsche Wirtschaft“. Aus Sicht der Wirtschaft, führte Buck aus, seien der Auftrag und der Anspruch an die neue Bundesregierung klar: Die deutsche Wirtschaftspolitik müsse Rahmenbedingungen setzen, mit denen sich die Unternehmen auf den internationalen Märkten im freien Wettbewerb behaupten können.

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„Wir müssen zügiger entscheiden, um gute Ideen umsetzen zu können“, so Buck. Weiter forderte er, die Bürokratiebelastungen konsequent einzudämmen: Das Mantra „Weniger Bürokratie wagen“ müsse endlich Realität werden. Ohne eine leistungsfähige digitale Infrastruktur und schnelle Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren seien die großen Zukunftsaufgaben wie die Bewältigung des Klimawandels, die Digitalisierung, die Transformation der Wirtschaft und der demographische Wandel nicht zu schaffen. Buck berichtete aus einer aktuellen Studie, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde und die Bedeutung der regionalen Automobilnetzwerke beleuchtet. Danach sei der Bodenseekreis als einer der hauptbetroffenen Kreise in Deutschland benannt. Gleichzeitig gehöre der Bodenseekreis aber zu den Top 3-Regionen, die sich stark in den Chancenfeldern Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung entwickeln. „Ich hoffe, dass diese positiven Zukunftsaussichten bestätigt werden und in die gesamte Region ausstrahlen“, so Buck.

Damit die Transformation gelinge, müsse man in der Region weiter die allgemeinen Standortfaktoren verbessern. Hier nannte er als Beispiele aus der Studie den Ausbau der Mobilfunkinfrastruktur und die flächendeckende Versorgung des ländlichen Raums, aber auch den weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Sorge bereite ihm die Fachkräfteproblematik in der Region. Die im Bundesvergleich überdurchschnittlichen Wachstumsprognosen des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg für das Land machten aber Mut, dass der Aufschwung sich durchsetze. „Wir brauchen das Wachstum auch, denn es hilft, die anstehenden Aufgaben zu finanzieren“, so Buck abschließend.

Die Ergebnisse der aktuellen IHK-Herbstumfrage zeigen, dass sich die regionale Wirtschaft wieder im Aufschwung befinde, berichtete Bettina Wolf, Konjunkturreferentin der IHK Bodensee-Oberschwaben, den Gästen der hybrid durchgeführten Veranstaltung. Aktuell zeigten sich die Unternehmen insgesamt in recht guter Stimmung. „Von Normalität kann insbesondere im Hotel-Gaststättenbereich oder im Einzelhandel aber nicht gesprochen werden, schon gar nicht ist das Vor-Corona-Niveau greifbar“, so Wolf. Ballast für den Aufschwung seien vor allem der Fachkräftemangel, die Lieferengpässe und die hohen Rohstoff- und Energiepreise. Dennoch nehmen laut IHK-Umfrage die Investitionsplanungen der Unternehmen deutlich an Fahrt auf. Hauptmotive seien Digitalisierungsmaßnahmen, Investitionen in den Umweltschutz oder Energieeffizienz. „Erfreulicherweise nehmen aber auch die Kapazitätserweiterungen wieder zu. Das gibt jedes dritte Unternehmen und damit 10 Prozentpunkte mehr als in der Vorumfrage an“, so Wolf. Die Beschäftigung in der Region habe auch wieder zugenommen und man steuere wieder eine De-facto-Vollbeschäftigung an.

„Die Krise ist allmählich überwunden, aber wir müssen in Zukunft unser Handeln an einem geringeren Wachstum ausrichten“, sagte Kooths und stellte den Gästen die Ergebnisse des aktuellen Herbstgutachtens der fünf führenden deutschen Wirtschaftsinstitute vor. Die Pandemie sei ein exogener Schock für die Wirtschaft gewesen, der aber nur interruptiv und nicht disruptiv wirke, also vergleichsweise gut verdaulich für die Wirtschaft sei. „Die bestehenden Produktionsstrukturen wurden durch die Krise nicht infrage gestellt, sondern nur unterbrochen“, so Kooths. Ein wichtiger Indikator für den Welthandel seien die Containerschiffsdaten. Hier seien die Containerkapazitäten deshalb knapper geworden, weil die Container länger als gewöhnlich gebunden seien. „Viele Schiffe liegen derzeit in den Seehäfen im Stau. Zusätzlich haben wir eine aufgestaute Nachfrage durch Corona, die die Produktion derzeit nicht bedienen kann, weshalb die Preise nach oben gehen“, so Kooths. Dabei sei der starke Preisanstieg aber grundsätzlich ein Symptom der Erholung. „Wenn die Produktion wieder hinterherkommt, wird der Inflationsdruck nachlassen“, so die Einschätzung Kooths.

Hinsichtlich der Preisexplosion am europäischen Gasmarkt warnte Kooths vor den Rufen nach staatlicher Regulierung: „Eine künstliche Deckelung der Marktpreise wäre kontraproduktiv und würde zur weiteren Verknappung führen.“ Die Gaspreise würden zwar für einige Zeit so extrem hoch bleiben, vor allem in Deutschland, aber dennoch seien die derzeitigen Spitzen nur ein temporärer Effekt, so die Annahme. Bezüglich der hohen Staatsdefizite äußerte sich Kooths deutlich. Konjunkturell seien die staatlichen Finanzierungsdefizite nach der Krise nicht mehr zu rechtfertigen und würden oft unter dem „Antikrisenetikett“ seitens der Politik laufen. Deutschland mache das zum Beispiel unter dem Label „Zukunftspaket“, das auch noch 2022 und 2023 laufen soll. „Das sollte uns Sorgen bereiten, denn es treibt die Verschuldungsquoten in weiten Teilen der Welt in besorgniserregende Dimensionen. Wir erreichen Schuldenstände, wie noch nie zuvor in Friedenszeiten“, so Kooths. Nur die niedrige Zinslast würde eine solch hohe Staatsverschuldung tragfähig machen.

Für die Zukunft sei das aus Stabilitätsgründen aber ein großes Problem. „Die aktuell hohen Inflationsraten sind temporär“, so Kooths, „aber es besteht die Gefahr mittelfristiger Inflationseffekte. Das kann man in etwa so umschreiben: Wenn Sie sich zu fett ernähren und zu wenig Sport treiben, dann gefährden Sie Ihre Gesundheit. Dann können Sie sich zusätzlich natürlich immer noch ein Bein brechen. Das Bein mag verheilen, aber damit sind Ihre grundsätzlichen Gesundheitsprobleme noch nicht gelöst. Und das ist der Fall: Wir leben zu fett, belasten unseren Staatshaushalt und erlauben uns eine zu laxe Geldpolitik“, so Kooths. Die aktuelle Überschuldungspolitik im Euroraum bezeichnete er als „finanzpolitische Geisterfahrt“. Auch gegenüber der kommenden Bundesregierung fand er klare Worte: „Die nächste Bunderegierung kann nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. Ab 2022 ist Konsolidierung angesagt. Jede konjunkturstimulierende Maßnahme steht aller Konjunkturdiagnostik diametral entgegen“, sagte Kooths, sprach sich strikt für die Einhaltung der Schuldenbremse aus und sprach damit auch viele Gäste aus der Seele. Applaus erhielt er bezogen auf die Umgehung der Schuldenbremse und eine weitere Verschuldungspolitik für das Statement: „Weniger Respekt vor den Stabilitätshütern dieses Landes kann man eigentlich gar nicht haben!“ Kritisch äußerte er sich zur demografischen Entwicklung im Land. Hier würde man 2023 den Zenit der Beschäftigung erreichen, dann seien die Wachstumskapazitäten auf dem Arbeitsmarkt erschöpft. Leider würde man auf die demografische Alterung nicht reagieren. „Wir müssen qualifizierte Zuwanderung ermöglichen und als Standort attraktiv bleiben“, appellierte Kooths. Angeregt diskutiert wurde im Saal über Fragen zum Umgang mit dem demografischen Wandel, der Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Arbeitskosten und der aktuellen Lieferkettenproblematik.

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