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100 Tage neues Jugendschutzgesetz – Auswirkung auf die Medienerziehung?

Bild: Ingo Heine

Starke Kinder, die bewusst und kreativ mit digitalen Medien umgehen: Artikel 10a des Jugendschutz-Gesetzes setzt hierfür entscheidende Leitplanken. Die Gesetzesnovelle vom Mai dieses Jahres nennt erstmals die Begleitung und Heranführung an die sichere Nutzung von digitalen Medien als Schutzziel – und nicht mehr nur den Schutz vor entwicklungsbeeinträchtigenden und jugendgefährdenden Inhalten. Das Potenzial von Tablet und Co. für das Aufwachsen in einer Informationsgesellschaft nutzen und die Risiken minimieren: Soll dieser Anspruch umgesetzt werden, braucht es besser ausgebildete Fachkräfte in der Früherziehung und den Dialog zwischen Kita und Eltern. Darauf weisen Berliner Forscherinnen hin. Sie untersuchen derzeit, wie Mütter, Väter und Fachkräfte gemeinsam einen sicheren Rahmen für die ersten medialen Erfahrungen von Kindern gestalten können. Die Publikation dieses 4-jährigen Forschungsprojekts von Stiftung Digitale Chancen und Stiftung Ravensburger Verlag erscheint Mitte 2022.

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Smartphone, Tablet und Laptop: sie sind ein zentraler Bestandteil der kindlichen Lebenswelt geworden. 74 % der Kinder zwischen 3 und 5 Jahren nutzen täglich digitale Medien. Diese veränderte Lebensrealität wird seit Mai 2021 erstmals im deutschen Jugendschutzgesetz abgebildet. „Das ist ein ganz großer Schritt: Damit erkennt der Gesetzgeber an, dass Kinder ein Recht auf Schutz vor Interaktions-Risiken im digitalen Raum haben“, freut sich Jutta Croll. Die Vorständin der Stiftung Digitale Chancen arbeitet seit Anfang der 2000er-Jahre mit ihrem Team an der Förderung der Internetnutzung und Medienkompetenz und fordert aus kinderrechtlicher Perspektive die Berücksichtigung der Medienfrüherziehung im Dialog von Kita und Familie.

Eltern und pädagogisches Fachpersonal: Nicht gut gerüstet für Schlüsselrolle

Kita und Eltern: Beide spricht Artikel 10a der Gesetzesnovelle – neben den Heranwachsenden – explizit an: Sie sollen Orientierung bekommen, wenn es um Fragen der Mediennutzung geht. Dieses Begleiten und Heranführen an die sichere Nutzung von Smartphone und Co. ist eine immer größer werdende Aufgabe in der Erziehung, wie Theresa Lienau weiß: „Das erfordert eine aktive Auseinandersetzung des Fachpersonals mit neuen komplexen Fragen. Viele Erzieherinnen und Erzieher haben uns in Gesprächen aber gesagt, dass sie das neben dem Arbeitsalltag in der Kita nicht oder nur unzureichend schaffen.“

Erste Ergebnisse aus Forschungs- und Praxisprojekt

Theresa Lienau sprach für ihr Forschungsprojekt „Medienerziehung im Dialog von Kita und Familie“ mit zahlreichen Eltern und Erziehenden in den Kindertageseinrichtungen. Sie erfuhr, dass sich die meisten Mütter und Väter hier durchaus in der Verantwortung sehen, aber häufig überfordert sind. Deshalb haben sie vielfach ausschließlich die Begrenzung der Medienzeit ihrer Kinder im Auge und kaum Vorstellungen von einem kreativen und gestalterischen Einsatz der Geräte. Viele Eltern wünschen sich Unterstützung bei der Medienerziehung – auch von den Kitas, denen sie als Bildungsinstitution vertrauen.

Starker neuer Hebel für engagierte Fachkräfte und Eltern

Damit Kitas die Eltern unterstützen können, brauchen sie die Ressourcen, um sich mit dem Thema beschäftigen zu können. Hier sehen die Forscherinnen das Fachpersonal seit Mai in einer viel besseren Position: Das novellierte Gesetz gäbe den klaren gesetzlichen Auftrag, durch staatliche Programme und Maßnahmen die Orientierung im digitalen Umfeld zu gewährleisten, wie Jutta Croll erklärt und ergänzt: „Eltern, Kinder und pädagogische Fachkräfte können sich darauf berufen und die Unterstützung einfordern.“

Wie gelingt Medienerziehung im Dialog zwischen Kita und Familie?

Welche Form der Unterstützung nötig ist, damit die Erziehenden ihrer Aufgabe gerecht werden können, erforscht „Medienerziehung im Dialog“ seit 2018. Das Forschungs- und Praxisprojekt begleitet zehn Kitas aus Berlin, Brandenburg und Niedersachsen medienpädagogisch. Das vierjährige Projekt führt die Stiftung Digitale Chancen in Kooperation mit der Stiftung Ravensburger Verlag durch, die es mit einem Budget von rund 450.000 Euro fördert. Die Erkenntnisse des gemeinsamen Projekts erscheinen Mitte 2022 als Fachpublikation.

Johannes Hauenstein, der Vorstand der Stiftung Ravensburger Verlag, erläutert das Engagement seiner Stiftung: „Manche Kinder haben bereits zwei Stunden vor dem Bildschirm hinter sich, wenn sie morgens in die Kita gebracht werden. Diese Kinder sollten in den Einrichtungen auf Fachpersonal treffen, das diesen Hintergrund versteht und im Dialog mit den Eltern hilft, die Medienerziehung weg vom passiven Konsum hin zu einer selbstbestimmten Nutzung zu lenken.“ Die Kinder zur Teilhabe an der heutigen Informationsgesellschaft befähigen: Dazu braucht es neben medienpädagogisch gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern ein Verständnis, wie Eltern und Kita gut zusammenarbeiten können – mit dem Ziel, Kinder bewusst und kreativ an die Medienwelt heranzuführen.

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