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Staatsanwaltschaft Ravensburg verzeichnet neuen Höchstwert an Verfahren

Bild: Kim Enderle

Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat am Dienstag Bilanz ihrer Arbeit im Jahr 2023 gezogen. Im Blickpunkt stand dabei ein neuer Höchstwert von 28.167 Verfahren, wenngleich die Steigerungen im Vergleich zum Vorjahr moderat ausfällt.

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Für Mehrbelastungen der personell unterbesetzten Behörde sorgten aber auch Fälle mit komplexen Ermittlungen. Alexander Boger, Leiter der Staatsanwaltschaft Ravensburg, wartete zu Beginn der jährlichen Pressekonferenz am Dienstag zunächst mit den blanken Zahlen auf. So wurden bei der Behörde im Jahr 2023 28.167 Verfahren gegen bekannte Beschuldigte eröffnet. Zwar beträgt die Steigerung zum Jahr davor nur 2,34 Prozent, dennoch sieht man bei der Behörde, die in ihrem Bereich für rund 620.000 Menschen zuständig ist, keinen zufriedenstellenden Trend. „Das Niveau ist hoch und wir hatten noch nie so viele Verfahren wie in 2023“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt und verglich dies mit den Zahlen seiner Amtsübernahme vor neun Jahren. Da waren es rund 22.000 Verfahren, es kam seitdem also zu einem Zuwachs von 20 Prozent.

Alexander Boger gab trotz des neuen Negativ-Rekords gleichzeitig zu bedenken, dass die Zahlen prinzipiell in Relation gebracht werden müssten. So gab es in vielen Deliktbereichen im Vergleich zu 2022 auch deutliche Rückgänge bei den Zahlen. Zudem werden rund ein Drittel der Verfahren wieder gänzlich eingestellt, weil den Beschuldigten keine Straftat nachgewiesen werden konnte. 1.390 Mal wurde das Verfahren zudem gegen eine Geldauflage eingestellt. Auch beim Rest der Verfahren landete bei weitem nicht alle auch tatsächlich vor dem Amts- oder Landgericht. So verhängte die Staatsanwaltschaft Ravensburg im vergangenen Jahr 4.445 Strafbefehle. (4.821). Hier wird das Verfahren vereinfacht auf schriftlichem Wege geführt und endet in der Regel mit Geldbußen, Fahrverboten oder Entziehung. Bei 2.493 bewegten sich die Delikte gegen die Beschuldigten allerdings in einem Bereich, der zur Anklage beim Landgericht (56) oder zu einem der zuständigen Amtsgerichte (2.437) kamen. Hierbei mussten die Staatsanwältinnen und – Anwälte über 6.000 Sitzungsstunden ableisten.

Während einige, einem Kapitalverbrechen zuzuordnende Fälle wie zum Beispiel der Ravensburger Hochbeet-Mord, dem versuchten Totschlag mit einer Machete in Biberach oder auch dem sexuellen Missbrauch von minderjährigen Mädchen in Wangen bereits vor Gericht verhandelt wurden beziehungsweise die ersten Sitzungstage unmittelbar bevorstehen, gibt es aktuell noch Fälle mit enormer öffentlicher Beachtung, deren Ermittlungen auf Hochtouren laufen.

Als Beispiel für einen von 2023 auf 2024 übergreifenden, besonders komplexen Fall, nannte die Staatsanwaltschaft die Geschehnisse am Medizin Campus Bodensee in Friedrichshafen, die  nach dem Suizid einer dort beschäftigten Oberärztin in den Blickpunkt rückten. Zwar konnte das nach einer Selbsttötung automatisch eröffnete Ermittlungsverfahren keine Mitwirkung Dritter feststellen, dennoch gab es danach Erkenntnisse für weitere Vorermittlung. Eine Ermittlungsgruppe der Kriminalpolizei Friedrichshafen hatte dann allerdings ausreichend Hinweise auf den Anfangsverdacht von Straftaten. Am 14. Februar hat die Staatsanwaltschaft Ravensburg dann auch ein Ermittlungsverfahren gegen fünf Ärztinnen und Ärzte wegen des Verdachts der unterlassenen Hilfeleistung, fahrlässigen Tötung, Körperverletzung und Abrechnungsbetrug eingeleitet. Da der Fall auch öffentlich hohe Wellen geschlagen hat, stellte Alexander Boger jedoch klar. „Es gibt hier bislang einen Anfangsverdacht, es handelt sich zum aktuellen Stand weder um einen hinreichenden Tatverdacht noch um eine Bestätigung“, so der Leiter der Staatsanwaltschaft Ravensburg. Alexander Boger verwies auch darauf, dass für die Staatsanwaltschaft ausschließlich Straftaten relevant seien und keine innerdienstlichen Versäumnisse. Dass der AOK durch angeblich falsche Abrechnungen ein Schaden von 1 Million Euro entstanden sein soll, wie das Magazin „Der Spiegel“ schrieb, kommentierte Oberstaatsanwältin Christine Weiss kurz und prägnant: „Wir wissen nicht, woher der Spiegel diese Zahl hat, von uns auf jeden Fall nicht.“ Da rund 250 Krankenakten von teils verstorbenen Patientinnen und Patienten Teil der äußerst komplexen Ermittlungen sind, erwartet die Staatsanwaltschaft Ravensburg einen schwer kalkulierbaren zeitlichen Verlauf. „Das wird vom Umfang sicher alles übertreffen, was wir bislang hatten“, gab Alexander Boger aber schon mal als Einschätzung.

Mit Spannung erwartet auch die Staatsanwaltschaft Ravensburg die Entscheidung des Bundesrats zum sogenannten „Cannabis-Gesetz“. Der Bundestag hatte erst am 23. Februar die Änderungen mit Mehrheit der Ampel-Koalition beschlossen; diese sehen eine teilweise Legalisierung von Besitz und Konsum von Cannabis vor. Zur Herausforderung für die Staatsanwaltschaft wird der vom Gesetzgeber geplante Zusatz, dass bereits abgeschlossene Verfahren unter eine Amnestieregelung fallen sollen. Dazu sollen Urteile oder Strafbefehle, die nach der früheren Gesetzeslage verurteilt wurden, ab 1. April nicht mehr vollstreckt werden. Aufgrund des Zeitdrucks hat die Staatsanwaltschaft Ravensburg bereits begonnen, die rund 950 relevanten Akten zu sichten und zu filtern. „Stand jetzt müssten wir eine Person aus der Haft entlassen“, sagte Alexander Boger. Sollte das äußerst umstrittene Gesetz durchgehen, rechnet die Staatsanwaltschaft Ravensburg durchaus mit einem Rückgang der Strafverfahren bei den Betäubungsmittel-Delikten. In welchem Maß sich das jedoch niederschlägt, lässt sich schwer abschätzen. Erste Staatsanwältin Tanja Vobiller geht davon aus, dass es auch zu einer Verlagerung der Zuständigkeiten kommen könnte. Denn wenn ein Autofahrer unter Drogeneinfluss steht, liegt eventuell zwar keine Straftat mehr vor, aber die Fahrerlaubnisbehörde kann unabhängig davon die Zuverlässigkeit des Fahrers oder der Fahrerin infrage stellen. Frühere Straftaten könnten zudem auch zu Ordnungswidrigkeiten führen, was dann wieder in die Zuständigkeit der Ortspolizeibehörde von Stadt und Gemeinde fällt.

Ein weiteres, aktuell in umfangreichen Ermittlungen stehendes Verfahren, nahm der Leitende Oberstaatsanwalt Alexander Boger zum Anlass, seine gewisse Sorge über einen Trend zum Ausdruck zu bringen. So hätten die Vorfälle am Rande des politischen Aschermittwochs der Grünen am 14. Februar in Biberach eine neue Qualität der Verrohung des politischen Diskurses aufgezeigt. Was als vermeintlich demokratisch untermauerter Protest zu einem aktuellen Thema gedacht war, artete letztlich in eine Vielzahl von Straftaten einer breiten Palette von schwerem Landfriedensbruch, Körperverletzung sowie Gefangenenbefreiung aus. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft 41 Ermittlungsverfahren eröffnet, auch gegen zwei Polizeivollzugsbeamte. Alexander Boger sieht hier die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Proteste als Auslöser für den negativen Trend. „Leider ist zu beobachten, dass der Respekt gegenüber Gesetzen, Behörden und der Polizei immer mehr abhandengekommen ist, das geht bis zur kompletten Ablehnung des Staates. Auch beim ständig aktuellen Thema „Klima-Aktivisten“ und Aktionen, so wie unlängst bei der Blockade der B32 im Bereich der Gänsbühl-Fußgängerbrücke, sei dieser Trend zu beobachten. Alexander Boger stellte dazu klar: „Es ist nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die inhaltlichen Anliegen zu bewerten. Wir prüfen aber, ob bei derartigen Versammlungen – ob angemeldet oder nicht – Straftaten verübt werden.“

Zahlen der Delikte aus dem Jahr 2023 (in Klammern der Wert von 2022):

  • Kapitaldelikte: 29 (27)
  • Sexualstrafsachen: 366 (394)
  • Verbreitung pornografischer Schriften: 550 (525)
  • Diebstahlsdelikte: 2.998 (2.550)
  • Betäubungsmittel-Delikte: 2.246 (2.361)
  • Betrugsstraftaten: 4.167 (4.215)
  • Verkehrsstrafsachen: 5.438 (5.514)

 

 

 

 

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