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Schussental

„Viel Lust auf Arbeit“

In Zeiten von Corona ist Heimarbeit angesagt: Sonja Wagner aus Bodnegg schraubt im elterlichen Wohnzimmer Deckel auf Flaschen. Bild: Stiftung Liebenau

6.45 Uhr: Zeit für Stefan L. aufzustehen und zu frühstücken. Dann macht er sich fertig, für seinen Weg zur Arbeit. Er freut sich, wie jeden Tag, auf eine sinnvolle Beschäftigung – und natürlich auch darauf, seine Kolleginnen und Kollegen wiederzutreffen. „Mal ein Schwätzchen zwischendurch, das muss schon sein“, berichtet Stefan L. und lacht ein bisschen verschämt dabei. Doch seit 18. März ist alles anderes. An diesem Tag wurde die Schließung der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) vom Sozialministerium in Baden-Württemberg Corona-bedingt beschlossen. Jetzt geht es Stefan L. so, wie vielen Beschäftigten zurzeit in Deutschland: sie dürfen nicht mehr zur Arbeit. Doch er versteht nicht warum, er ist doch gesund und fühlt sich topfit. Und, was soll er nun den ganzen Tag machen?

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Mitarbeitende in den Wohngemeinschaften leisten Großartiges

Stefan L. wohnt in einer Wohngemeinschaft der Stiftung Liebenau. Die Mitarbeitenden dort sind nun vor große Herausforderungen gestellt. Nicht nur, dass alle Hygienemaßnahmen und Vorschriften der Corona-Verordnungen umgesetzt werden müssen, auch die Beschäftigten aus den WfbMs sind tagsüber auf den Gruppen und wollen sinnvoll beschäftigt werden. Unterstützt werden sie dabei durch die Fach- und Sozialdienste sowie die Fachkräfte der Werkstätten, die Lernpakete für die Beschäftigten zusammenstellen.

Lernpakete bringen Struktur in den Tagesablauf

Inzwischen werden wöchentlich 520 Menschen, die in den Liebenauer Arbeitswelten beschäftigt sind, mit Lernpaketen versorgt. Diese gibt es in drei unterschiedlichen Niveaus, jeweils auf die Fähigkeiten der Einzelnen zugeschnitten. Sie beinhalten ganz unterschiedliche Themen: auf Lernblättern werden Formen und Zahlen behandelt, es geht um Hygiene, englische Vokabeln können gelernt werden, es gibt Aufgaben zur Arbeitssicherheit in den Werkstätten, Vorlagen für Mandalas werden bereitgestellt. Zum Vorlesen gibt es Entspannungsgeschichten, Tipps zur Ernährung oder es werden Koordinationsübungen angeboten. Das alles dient der Erhaltung oder Erweiterung der beruflichen Kompetenzen und der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit der Beschäftigten. Die Lernpakete bieten aber auch Abwechslung, Spaß und Kreativität. Diese Angebote betreffen aber nicht nur die Betreuten in einer Wohngruppe, sondern richten sich ebenso an Menschen mit Behinderungen, die selbstständig wohnen oder bei ihren Familien leben.

Lernpaket und Arbeitspaket

Silke V., die bei Isny alleine in einer eigenen Wohnung lebt und von den Ambulanten Diensten bei der Bewältigung des Alltags unterstützt wird, bekommt neben den Lernpaketen auch ein Arbeitspaket. Sie nimmt bei sich zu Hause Etikettier-Aufträge an, die sie sonst in der Werkstatt ausgeführt hätte. Bebilderte Anweisungen in leichter Sprache erklären ihr den Auftrag. Als sie drei Tage nach Erhalt der Arbeit bei ihrem Betreuer anrief und meinte, sie bräuchte Nachschub, war sie bereits mit dem Wochenpensum fertig. Isabella Burgey-Meinel, die zusammen mit Stefan Fricker den Bereich Arbeit und Bildung leitet, weiß, dass „manche unserer Beschäftigten regelrecht wild auf Arbeit sind, denn Arbeit ist sinnstiftend“. In diesem Sinn ergänzt Fricker: „Eine sinnvolle Tagesstruktur muss gewährleistet werden. Deswegen haben wir ein ganzes Bündel an Maßnahmen geschnürt, um alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bereitzustellen.“

 

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