Am Güterbahnhof brennt ein Schuppen mit Fässern. Sofort entwickelt sich Rauch, bei einer Messung besteht der Verdacht, dass das Nervengas Sarin ausströmt. Polizei und Feuerwehr werden verständigt, der Norden Ravensburgs wird evakuiert. Während die Feuerwehr mit dem Löschen des Brandes in Beschlag ist, werden viele Menschen in die Zentrale Notaufnahme am St. Elisabethen-Klinikum gebracht, um von der vermeintlichen Verunreinigung zunächst dekontaminiert, also gesäubert, und danach untersucht zu werden. Erst nach Stunden, als das Ergebnis der Rauchprobe, die mit dem Hubschrauber nach Mannheim geflogen wurde, stellt sich zum Glück heraus: Der Verdacht auf Sarin ist falsch, es gibt Entwarnung.
Ein Ereignis, das sich vor Jahren tatsächlich in Ravensburg abspielte. Für das St. Elisabethen-Klinikum gilt deshalb, sich regelmäßig für ähnliche Fälle zu wappnen und vorzubereiten. Nicht immer muss es ein Massenanfall von Verletzten sein – auch einzelne Personen, die mit Chemikalien oder biologischen Gefahrenstoffen in Berührung kommen, können dekontaminiert werden. Egal, ob sie im eigenen Haushalt durch Lösungsmittel oder Säuren Opfer von Chemieunfällen werden, bei der Arbeit als Landwirt (Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Jauchegruben und Silos), als LKW-Fahrer beim Transport von gefährlichen Gütern (Benzin, Heizöl, Gas) oder auch bei der Arbeit an der heimischen Heizung, wo Flüssigtanks oder Kälteanlagen stete Gefahrenquellen sind. Auch biologische Verunreinigungen könnten am EK dekontaminiert werden, etwa der Kontakt mit Viren wie Ebola oder Marburgvirus oder Bakterien wie Pest oder Milzbrand.
Das St. Elisabethen-Klinikum ist eine der wenigen Kliniken in der Region, die über ein Dekontaminationszelt verfügt. Kürzlich probte die Zentrale Notaufnahme am EK den Ernstfall. Morgens um 9 Uhr stellten die Alarmplanbeauftragten Enrico D‘Alessio und Daniel Jenke, beide speziell geschulte und erfahrene Notfallpflegekräfte, das 4×3 Meter große Dekontaminationszelt vor der Liegendeinfahrt am Hintereingang des EK auf, um zunächst ein Schulungsvideo für das ganze Haus aufzunehmen. Mittags wurden die theoretischen und praktischen Inhalte des Einsatzes dann mit dem ZNA-Team besprochen. Auch die kommissarische Ärztliche Leiterin Dr. Katharina Christ und Stationsleitung Andreja Hülswitt legten mit Hand an, als es um die Tücken des Auf- und Abbaus und der Sicherheits- und Hygienemaßnahmen ging. Spezielle Schutzbekleidung ist vorgeschrieben. Kein Millimeter Haut darf freiliegen, um eine Kontaminierung zu vermeiden. Am Ende war Enrico D’Alessio von Plastik komplett umhüllt.
Doch was ist das eigentlich, Dekontamination? „Für uns als Klinik bedeutet Dekontamination, dass wir bereit und dafür gewappnet sein müssen, gefährliche chemische und biologische Verunreinigungen von Menschen zu entfernen, die fußläufig unsere Notaufnahme erreichen. Natürlich darf das nicht innerhalb der Klinik passieren“, sagen D’Alessio und Jenke. „Im Normalfall kümmern sich Feuerwehr und Rettungsdienste nach Unfällen vor Ort um Betroffene, die mit giftigen Chemikalien in Kontakt kommen. Aber es könnte vorkommen, dass dies einmal nicht möglich ist oder der Patient sich aus Panik selbst Richtung Krankenhaus aufmacht, um versorgt zu werden – dann stehen wir als Klinik in der Verantwortung. Das bedeutet: wir als Zentrale Notaufnahme.“
Gehandelt wird dabei auf Basis der Feuerwehr-Dienstvorschrift, an die das Krankenhaus-Dekonkonzept angelehnt ist – im Kreis Ravensburg gibt es einen auf Dekontaminationen spezialisierten Umweltzug der Feuerwehr. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Akribisch klärten die Alarmplanbeauftragten die Kollegen darüber auf, wie die Kompressoren und Druckluftgeräte funktionieren, mit denen das Dekontaminationszelt über seine Schlauchstruktur sekundenschnell und einfach aufgeblasen werden kann. Dann beginnt der Entgiftungvorgang: „Der Patient muss sich zunächst komplett entkleiden, wird dann gründlich gereinigt und bekommt danach neue Kleidung, ehe er in der Notaufnahme die benötigte Notfallversorgung erfährt“, sagen D’Alessio und Jenke. Überraschend dabei: Im Normalfall wird der Kontaminierte lediglich mit kaltem Wasser abgewaschen respektive abgespritzt und abgeschrubbt, von außen, über die Fenster des Zelts. „Die Schadstoffe, die außen auf der Haut sind, müssen zunächst abgewaschen werden – üblicherweise mit schlichtem Wasser, nicht mit Desinfektionsmittel, um eine mögliche Kreuzreaktion des Mittels mit dem Schadstoff zu vermeiden“, sagen D’Alessio und Jenke.
Etwa zehn Minuten dauert der gesamte Vorgang. Danach wird das kontaminierte Wasser mittels eines Schlauches in einen Container gepumpt und später von der Feuerwehr entsorgt. Auch die Schutzanzüge des Personals und die alte Kleidung des Patienten landen im Sondermüll, anschließend wird das Dekon-Zelt gereinigt. Am Ende geht es nur um eines: „Alles, was verunreinigt wurde“, sagt Enrico D‘Alessio, „muss am Schluss entfernt und entsorgt sein.“
Information: Maßgeblich bei allen Dekontaminations-Maßnahmen sind die Anforderungen des Infektionsschutzgesetzes, der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung.
Veranstaltungshinweis: Am 18. Oktober 2025 findet am EK das Seminar „Katastrophenmedizin“ statt zu den Themen „Katastrophenmedizin“ und „Krankenhausalarmplanung“. Die OSK hat ein Programm gewählt, das Themen im Bereich der inneren Sicherheit, der medizinischen Bewältigung von Kriegsereignissen, MANV-Lagen an der OSK, aber auch der Ausbildung und Forschung in dem essentiell wichtigen Bereich Katastrophenmedizin behandelt mit internen und externen hochqualifizierten Referenten. Das Seminar richtet sich an alle Berufsgruppen, die in die Bewältigung von Katastrophenereignissen involviert sind, etwa aus den Bereichen Pflege, Ärzteschaft, Klinikverwaltung, Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei.