„Die Auszeichnung hat mich vollkommen überrascht, aber ich freue mich sehr über diese Wertschätzung“, sagt Olga Sidorova bei einem Treffen in Ravensburg und ihre Augen strahlen. Mit ihrer offenen und sympathischen Art gewinnt sie schnell Aufmerksamkeit und Vertrauen – und sie hat einiges zu erzählen.
Seit drei Jahren lebt Olga Sidorova mit ihrem Ehemann in Oberschwaben. „Ich komme aus der schönen russischen Stadt St. Petersburg“, sagt sie. Die 37-Jährige hat an der dortigen Staatlichen Pädagogischen Herzen-Universität – mit rund 18.000 Studierenden eine der größten Pädagogischen Hochschulen Russlands – ein Bachelorstudium mit dem Schwerpunkt „Deutsch als Fremdsprache“ absolviert. Darauf aufbauend machte sie ihren Master in Linguistik, Übersetzungstheorie und internationaler Kommunikation. „Ich hatte schon in der Schule Deutschunterricht“, erzählt sie in nahezu fehler- und akzentfreiem Deutsch. Ihre Expertise im Bereich Deutsch als Fremdsprache habe sie sich durch Lehrtätigkeiten an verschiedenen Institutionen in St. Petersburg erarbeitet, auch in der Erwachsenenbildung. Unter anderem lehrte sie zwei Jahre lang an der Petersburger Filiale der Forschungsuniversität „Hochschule für Wirtschaft“ und wirkte an der Entwicklung von Lehr- und Lernprogrammen mit. Über ein Fernstudium legte sie zudem das Grüne Diplom ab, eine standardisierte Lehrkräfte-Qualifizierung des Goethe-Instituts. Neben ihrer Muttersprache Russisch und einem Deutsch auf hohem Niveau spricht und versteht Olga Sidorova auch sehr gut Englisch.
Ihre Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, fiel 2022. „Ich habe auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit nach offenen Stellen gesucht, eine Stellenanzeige der Josef-Wilhelm-Schule der Stiftung Liebenau in Ravensburg gefunden und mich beworben“, erzählt sie. Schon einen Tag später habe Schulleiter Klaus Hagmann mit ihr Kontakt aufgenommen und ein Online-Bewerbungsgespräch vorgeschlagen. „Ich hatte in diesem Gespräch fast Panikattacken, da ich anfangs kaum etwas verstand, weil Herr Hagmann Schwäbisch sprach“, erinnert sie sich lachend. Dann aber sei man sich schnell einig geworden. Sie erhielt eine Zusage und konnte mit ihrem Mann Visa beantragten. Etwa ein halbes Jahr habe es gedauert, bis sie mit Ehemann und Hund nach Ravensburg kommen durfte.
Um in Deutschland unterrichten zu dürfen, benötigte Olga Sidorova eine Anerkennung der Gleichwertigkeit ihres Lehramtsabschlusses. Um die Voraussetzungen dafür zu erfüllen, schrieb sie sich im Wintersemester 2023/24 zum Nachstudium für das Lehramt Sekundarstufe I für die Fächer Deutsch und Englisch an der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH) ein. Olga Sidorova habe an den Veranstaltungen sehr aktiv und engagiert teilgenommen, sagte Dr. Anny Schweigkofler Kuhn bei der Preisverleihung. Sie lehrt an der PH im Fach Deutsch mit Sprecherziehung. „Ich habe Respekt vor deinem Mut, deiner internationalen Berufs- und Studienbiografie, ich schätze deine Expertise, deinen kritischen Blick und deine Bereitschaft, Herausforderungen anzunehmen“, so die Laudatorin. Die PH leiste mit kompetenten Dozenten und sehr guten Inhalten eine herausragende und strukturierte Bildungsarbeit, lobt Olga Sidorova. „Ich habe viel gelernt und kann sehr viel für meine Arbeit mitnehmen.“
Bereits seit 2022 arbeitet Olga Sidorova als Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache in so genannten VABO-Klassen (Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf, heute Integration und Sprache) der Stiftung Liebenau. „Hier erhalten Jugendliche mit keinen oder nur geringen Deutschkennnissen und ganz unterschiedlichen Bildungshintergründen verstärkt Sprachförderung“, berichtet sie. Dabei ist unschwer zu erkennen, wie sehr sie ihre Aufgabe und ihre Schützlinge liebt. Und sie erzählt voll Dankbarkeit von Schulleiter Hagmann: „Er ist ein großer Menschenfreund.“ Hagmann habe sie, wo immer möglich und notwendig, tatkräftig unterstützt, er habe bei Formalitäten und der Wohnungssuche geholfen, Studiengebühren vorgestreckt, wichtige Kontakte vermittelt und vieles mehr. „Er hat uns das Ankommen leichter gemacht.“
Auch Olgas Ehemann fühlt sich in Ravensburg wohl. „Er ist Physiker und arbeitet jetzt als Softwareentwickler in einem Unternehmen“, berichtet sie. Oberschwaben sei für sie beide zu einer zweiten Heimat geworden. „Wir leben gerne hier, lieben unsere Arbeit und haben Kontakt zu vielen netten Menschen.“


