Um die Zukunft der deutschen Wirtschaft angesichts großer Herausforderungen ging es beim diesjährigen Konjunkturgespräch der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK) in Weingarten. Professor Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW – Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, sprach über Chancen und Risiken im globalen Transformationswettlauf.
Das Konjunkturgespräch bildete den Abschluss der eintägigen Hausmesse „Zukunftschancen für die Wirtschaft“ in der IHK, bei der zehn Unternehmen ihre Expertise aus den Bereichen Energie, Nachhaltigkeit und IT-Sicherheit präsentierten.
Die Konjunktur in Deutschland und damit auch in der Region Bodensee-Oberschwaben komme nicht in Schwung, sagte IHK-Präsident Martin Buck in seiner Begrüßung. Geopolitische Risiken, eine überbordende Bürokratie, hohe Energiepreise und weitere Standortnachteile behinderten Unternehmen aller Größen und Branchen. Die Auftragslage sinke, Investitionen würden runtergefahren. Es brauche dringend Impulse aus der Politik. „Wir benötigen eine Regierung, der wir zutrauen, dass sie gute Rahmenbedingungen schaffen kann“, sagte Buck mit Blick auf die Neuwahlen im kommenden Februar. Dringend erforderlich seien vor allem ein schneller Bürokratieabbau, Infrastruktur-Investitionen in Straße und Schiene, eine Gründungsförderung und wettbewerbsfähige Arbeitskosten. „Als IHK haben wir einen politikberatenden Auftrag und wir führen viele Gespräche mit unseren Abgeordneten über eine wirtschaftsfreundliche Politik und weltpolitische Herausforderungen“, so Buck. Positiv nach der Wahl Donald Trumps in den USA sei, dass „jetzt klar ist, was kommt, und wir uns darauf einstellen müssen“. Für die EU sei es wichtig, künftig mit den USA und China gut zusammenzuarbeiten. Die Region Bodensee-Oberschwaben sei eine wirtschaftsstarke und innovative Region, die auf Rang zwei der anmeldestärksten Patent-Regionen Baden-Württembergs liege. „Wir können uns den Herausforderungen stellen, Wirtschaftswachstum schaffen und die Umwelt schützen“, so Buck.
Blick auf die regionale Konjunktur
Der Abwärtstrend der regionalen Wirtschaft halte an, sagte Bettina Wolf, IHK-Referentin für Regionalentwicklung. Sie informierte die Konjunkturgespräch-Teilnehmer über die aktuelle Herbst-Umfrage der IHK. Nur noch 30 Prozent der Unternehmen beurteilen demnach die eigene Geschäftslage als gut, 19 Prozent als schlecht. 51 Prozent sind mit ihrer Geschäftslage zufrieden. Auch die Geschäftserwartungen fallen dementsprechend verhalten aus: Nur 14 Prozent der antwortenden Unternehmen erwarten eine bessere Entwicklung, 33 Prozent fürchten eine Verschlechterung. 53 Prozent gehen von gleichbleibenden Bedingungen aus. „Die regionale Konjunktur verharrt im Abschwung“, sagte Bettina Wolf. Die Umsätze seien weiter auf Talfahrt und der Auftragseingang gewinne keine neue Dynamik. Vor allem die Nachfrage im In- und Ausland bereite den Unternehmen Sorge. Hinzu kämen hohe Energiepreise mit der Gefahr einen schleichenden Abwanderung der Unternehmen, eine Wirtschaftspolitik, die mehr Risiko als Hilfe beinhalte, Fachkräftemangel und überbordende Bürokratie. Die Unternehmen beklagten zudem langwierige Baugenehmigungen, eine zu hohe Steuerbelastung, eine unklare Gesetzeslage und fehlende Planungssicherheit.
Die Investitionspläne, so Bettina Wolf, lägen auf einem „bedenklich niedrigen Niveau“: 15 Prozent der Unternehmen planen keine Investitionen, 31 Prozent weniger und 36 Prozent gleichbleibende. Nur noch 18 Prozent wollen ihre Investitionen erhöhen. Bedenklich sei insbesondere, dass Investitionen für Innovationen heruntergefahren werden, denn die Unternehmen haben momentan wenig finanziellen Spielraum, da sie hohe Kosten decken müssen. „Weniger Unternehmen investieren, weniger in Innovationen, das schadet uns langfristig“, so Wolf. Die Industrie als Leitbranche der Region leide besonders unter dem unguten Mix aus hoher Kostenbelastung und dem Strukturwandel, mit einer im Saldo negativen Beurteilung der Geschäftslage sei die Industrie in die Rezession gerutscht. Nur noch 21 Prozent der befragten Industrieunternehmen beurteilen ihre Geschäftslage als gut. „Dies sind 6 Prozentpunkte weniger als bei der Konjunkturumfrage im Frühjahr 2024“, so Bettina Wolf.
Chancen und Risiken im globalen Transformationswettlauf
Die konjunkturelle Lage sei aktuell nicht gut, jetzt schwinde auch die Hoffnung auf einen absehbaren Aufschwung, bedauerte Professor Dr. Friedrich Heinemann in seinem Vortrag. Er ist Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW in Mannheim, das eine hohe europäische Reputation genießt. Heinemann ist zudem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg. Seine Forschungsinteressen betreffen vor allem Fragestellungen zur Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und Politik und zur europäischen Integration und Steuerpolitik.
Wie stehe Deutschland da, fragte der ausgewiesene Experte und erläuterte, warum es Deutschland nur auf Platz 18 von 21 im ZEW „Länderindex Familienunternehmen“ in Zusammenarbeit mit der Stiftung Familienunternehmen gebracht habe. Im weltweiten Vergleich gehöre Deutschland nach dem Index von Transparency International zu den zehn am wenigsten korrupten Ländern. Deutschland sei allerdings ein Hochsteuerland und auch bei den Arbeitskosten im Vergleich zur Produktivität rangiere Deutschland auf den hinteren Rängen. Die Pro-Kopf-Arbeitszeit sei niedriger als in allen anderen OECD-Ländern, dafür weise Deutschland eine hohe Erwerbstätigenquote auf. Regulierung und Bürokratie seien Deutschlands größte Schwächen, hier gebe es dringenden Handlungsbedarf. Die Nase vorn habe Deutschland hingegen bei den Finanzen und beweise fiskalische Resilienz – nicht zuletzt ein Verdienst der Schuldenbremse. Heinemann: „Von der Bonität Deutschlands profitiert Europa.“ Auch bei den Themen Infrastruktur und Investition spiele Deutschland gerade noch auf den vorderen Rängen mit, aber hier bestehe dringend Handlungsbedarf. Im Bereich Energie sei Deutschland zwar ein teurer Standort, genieße aber Stromversorgungssicherheit. „Die Entkoppelung von Russland ist besser gelungen als gedacht.“
Als Strategie für eine gute Zukunft empfahl Heinemann, einen Blick in andere Länder zu werfen und von diesen zu lernen. Gutes Beispiel für eine erfolgreiche Klimapolitik etwa seien die Dänen, die eine marktorientierte Klimapolitik über die CO2-Bepreisung betreiben und den Unternehmen Technologiefreiheit lassen, wie sie CO2 einsparen. In Sachen Arbeitsmarkt lohne ein Blick nach Finnland, wo der Arbeitsmarkt mit vielen allgemeinverbindlichen Tarifverträgen stark organisiert sei und die Arbeitskosten zuletzt nur leicht gestiegen seien. „Würden wir in Deutschland so viel arbeiten wie die Finnen, könnten wir rechnerisch ein Arbeitskräftepotenzial von über fünf Millionen Menschen gewinnen.“ Beim Geldausgeben sei die Schweiz mit einer hohen Effizienz öffentlicher Ausgaben Vorbild. „Deutschland gibt öffentliches Geld weniger effizient aus.“ Bei der Digitalisierung nannte Heinemann Österreich mit seinem Once-only-Prinzip als Best PraciseBeispiel: „Mit einer einmaligen Meldung von Daten erfolgt ein automatischer Datenaustausch mit anderen Behörden.“
In jeder Krise lägen auch Reformchancen, betonte Heinemann abschließend und zitierte Winston Churchills Worte: „Never waste a good crisis – lass niemals eine Krise ungenutzt verstreichen.“